Mittwoch, 18. Juli 2012

Faszination Pilgern I


Nun habe ich mich heute - schulbedingt - wieder in Erinnerungen verloren, Fotos rausgekramt, im Herbergspass geblättert und mich der Faszination Jakobsweg hingegeben. Und alles nur, weil im Geschichtsunterricht der 7. Klasse das Thema behandelt wird. Gleich zu Beginn. Gar keine Frage, dass die Schüler ihre neue Lehrerin dann gleich als verträumtes, monologisierendes Wesen kennenlernen werden. Verträumt ist ja okay, Monologe führen nicht unbedingt. Und damit das nicht passiert, habe ich einen Dialog geschrieben. Zwischen Hans Meier und einer Gruppe mittelalterlicher Pilger. Morgen soll ein weiterer Dialog zwischen Hans Meier und einer Gruppe moderner Pilger entstehen. Und die dürfen die Schüler dann als Rollenspiel aufführen. Gibt dann nur drei Möglichkeiten: 1. Sie finden Geschichte nach einem Jahr Abstinenz toll (in der 6. Klasse hat man hier kein Geschichte, dafür Geografie), 2. Sie fragen sich, was das jetzt soll und ob sie wieder in der Grundschule sind und 3. Sie sind vom Rest des Schulhalbjahres enttäuscht, weil Frau W. keine Zeit hat, um in jeder Stunde Spielchen zu spielen. Egal, hauptsache, sie erfahren in der ersten Stunde, warum die Menschen damals gepilgert sind (und unter welchen Umständen) und warum sie das heute noch tun. Und für all diejenigen, die das auch interessiert, hier das Gespräch:


Im Jahre 1452 begegnet Hans Meier einer Gruppe von Männern vor den Toren von Aachen. Keiner in der Stadt kennt Herrn Meier, niemand weiß wo er herkommt und viel Ahnung von den mittelalterlichen Begebenheiten scheint er auch nicht zu haben, wie folgendes Gespräch zeigt:
Hans Meier: „Seid gegrüßt, edle Herren. Wohin des Weges?“

Pilger 1: „Grüß Gott, Herr Meier.“
Pilger 2: „Wir sind auf dem Weg nach Santiago de Compostela.“

HM: „Santiago de…was? Noch nie gehört! Was wollt ihr dort?“

Pilger 3: „Sie haben noch nie etwas von Santiago de Compostela gehört? Unglaublich…“

HM: „Jaja, meine Frau nennt mich auch einen ungebildeten Klotz. Aber sagt, wo liegt dieses Santiago de Compostela. Das hört sich ganz schön exotisch an.“

Pilger1 : „Santiago de Compostela ist einer der drei berühmtesten Wallfahrtsorte. Der Sage nach strandete im 9. Jahrhundert an der Küste Nordspaniens der Leichnam des Apostels Jakobus.“
Pilger 2: „Sehr richtig. Außerdem baute im Jahr 829 Alfons II., König von Asturien, dann eine Kirche über das neue Grab des Apostels. Eben in Santiago de Compostela.“

HM: „Ah hm…sehr interessant! Und Sie möchten sich diese Kirche jetzt anschauen? Können Sie dafür nicht einen Pferdewagen nehmen?“

Pilger 3: „Sie sind wirklich ein ungebildeter Klotz, da hat Ihre Frau wirklich recht! Wir sind Peregrinos, Pilger, und Pilger fahren nicht mit der Pferdekutsche!“

HM: „Warum das denn nicht? Wäre doch viel bequemer. Vielleicht gibt es auch Gemälde von dieser Kirche, dann müssen Sie nicht so weit fahren…entschuldigen Sie, laufen.“

Pilger 1: „Mensch Meier, nun stellen Sie sich doch nicht dümmer an, als Sie sind! Die Kathedrale von Santiago de Compostela zu sehen, ist doch nicht der einzige Grund, warum sich Tausende Menschen auf den weiten Weg zu Fuß nach Nordspanien machen!“

HM: „Sagen Sie das doch gleich! Warum pilgern Sie also dort hin?“

Pilger 2: „Ich suche nach meinem Seelenheil. Wissen Sie, ich war in der Vergangenheit kein besonders frommer Mann. Ich habe beim Kartenspielen im Wirtshaus gemogelt, als Händler meine Kunden übers Ohr gehauen und außerdem noch meine Frau betrogen. Wenn ich nun nach Santiago de Compostela pilgere und dort bete und Buße tue, werden mir meine Sünden vergeben.“

HM: „Mein lieber Freund, das ist tatsächlich starker Tobak, was Sie da so getrieben haben!“

Pilger 2: „Mein Freund weiß, was er schlimmes getan hat und bereut das auch. Aber wissen Sie, da gibt es noch schlimmere, als ihn. Habt ihr von Herzog Heinrich gehört?

HM: „Noch nie gehört.“

Pilger 3: „War das nicht der, der vom hohen Fürstengericht in Nürnberg verurteilt wurde innerhalb eines Jahres nicht nur Santiago de Compostela aufzusuchen, sondern auch noch Jerusalem, Aachen, Rom, Wellsnach und Einsiedeln?
Pilger 1: „Unglaublich!“

HM: „Was ist denn in den anderen Städten? Auch das Grab des Jakobus?“

Pilger 2: „Nein, Mann! Das sind auch Wallfahrtsorte, zu denen Menschen pilgern können. Dort gibt es dann andere Reliquien. In Rom soll es z.B. das Kreuz Christi geben.“
Pilger 1: „Und in Aachen natürlich das Grab Karls des Großen, von dem Sie sicherlich bereits gehört haben.“

HM: „Ach so, verstehe! Und Herzog Heinrich will die nun alle sehen und auch Buße tun. Muss ja ein wildes Leben geführt haben, der gute Heinrich.“

Pilger 3: „Nein, so ist das bei ihm nicht. Haben Sie noch nie davon gehört, dass man auch für Verbrechen auf Wallfahrt geschickt werden kann? Wenn man Kritik an der Kirche übt, zum Beispiel. Aber auch für Totschlag.“
Pilger 1: „Bei Heinrich war der Grund allerdings weitaus trivialer: Er hat seinen Kollegen Herzog Ludwig von hinten mit dem Schwert verletzt.“

HM: „Kicher, da hatte das Fürstengericht von Nürnberg ja wohl einen strengen Tag, als sie die Strafe über Heinrich verhängt haben.“

Pilger 2: „Kann man wohl sagen! Aber vielleicht macht es Heinrich auch wie andere vermögende Männer und engagiert einen Berufspilger.“

HM: „Einen was?“

Pilger 2: „Einen Berufspilger. Das sind Männer, die das Abenteuer suchen und von Fernweh geplagt sind und sich dafür bezahlen lassen, dass sie für ihre Auftraggeber pilgern und Buße tun.“

HM: „So was geht?“

Pilger 3: „Naja, besonders ehrlich ist das nicht. Aber stellen Sie sich doch mal vor, Sie wären Gutsherr über ein riesiges Land. Das muss nicht nur bewirtschaftet, sondern auch verteidigt werden. Wenn Sie von hier nach Santiago de Compostela laufen, sind Sie gut und gerne ein halbes Jahr unterwegs.“
Pilger 1: „Da dürfen Sie allerdings keinen Tag Pause machen, krank werden oder sonst wie in Verzug geraten, sonst dauert es noch viel länger.“

HM: „Verstehe, und weil der reiche Gutsherr sich die Abwesenheit nicht leisten kann, lässt er jemanden für sich pilgern und bezahlt ihn dafür.“

Pilger 2: „Richtig. Und sein Seelenheil bekommt er trotzdem zurück.“

HM: „Na, ich weiß ja nicht…“

Pilger 3: „Nun gut, wir müssen dann mal weiter.“

HM: „Nein, warten Sie! Kommen Sie her, ich lade Sie noch auf ein Bier ein. Immerhin haben Sie einen weiten Weg vor sich und sollten ihn nicht mit leerem Magen starten. Außerdem bin ich jetzt doch ganz fasziniert von dieser Pilgergeschichte. Erzählen Sie mir bitte mehr darüber!“

Pilger 1: „Hm, naja. Zeit hätten wir eigentlich keine, aber ein Bier wird schon nicht schaden. Was meint ihr?“
Pilger 2: „Aber nur eins, sonst schnarchst du heute Nacht wieder so laut, dass man kein Auge zutut!“
Pilger 1: „Schon gut, schon gut.“
Pilger 3: „Hört auf zu streiten! (zu HM gewandt) Was wollt Ihr noch wissen?“

HM: „Na zum Beispiel, wann und wo ihr euer restliches Gepäck abholt. Dieser eine Rucksack, den Ihr auf dem Rücken tragt, wird ja wohl nicht alles für eure lange Reise sein.“

Pilger 3: „Doch natürlich! Immerhin sind wir zu Fuß unterwegs, und müssen unsere Sachen die ganze Zeit selber tragen.“

HM: „Erstaunlich! Was habt ihr denn alles dabei?“

Pilger 1: „Nur das Nötigste: zwei Paar eingelaufene Schule, meinen breiten Hut, der mich vor der Sonne und gleichzeitig vor Regen schützt, einen Mantel, eine Wasserflasche, Messer, einen Rosenkranz und einen Kochtopf. Und selbstverständlich einen Pilgerstab, Proviant und Geld.“

HM: „Geld? Habt Ihr keine Angst überfallen zu werden?“

Pilger 2: „Nein, denn als Pilger sind wir ziemlich gut geschützt. Wer Wanderer wie uns tötet, verletzt oder beraubt, dem drohen hohe Strafen.“

HM: „Und wie könnt Ihr sicher sein, dass ein Räuber Sie als Pilger erkennt?“

Pilger 3: „Dafür tragen wir diese Muschel am Mantel. Sie dient jedem als Erkennungszeichen.“
Pilger 1: „Wer übrigens nach Rom pilgert, trägt zwei Schlüssel als Zeichen. Für Jerusalem ist es ein schlichtes Kreuz, was den Pilger kennzeichnet.“
Pilger 2: „Und wenn Sie einmal jemanden begegnen, der gerade aus Aachen kommt und ein Pilgerhorn über der Schulter trägt, dann ist das jemand, der von seiner Pilgerfahrt nach Aachen nach Hause zurückkehrt.“

HM: „Sehr clever!“

Pilger 3: „Und wenn wir doch einmal angegriffen werden sollten, haben wir immerhin noch unseren Pilgerstab. Der hilft uns nicht nur beim Überwinden von Flüssen, sondern auch als Verteidigung gegen Angreifer.“

HM: „Na dann kann Ihnen ja fast nichts mehr passieren. Aber sagen Sie mal, wo schlafen Sie überhaupt, wenn Sie unterwegs sind?“

Pilger 1: „Auch das ist kein Problem. Als ausgewiesener Pilger muss uns jeder ein Dach über dem Kopf, Wasser, Brot und Feuer zum Aufwärmen und Trocknen der Kleider geben. Allerdings ist das heutzutage kein Problem mehr.“
Pilger 2: „Früher wurden die Pilger in Klöstern aufgenommen. Seit es aber immer mehr Menschen gibt, die eine Wallfahrt unternehmen, gibt es auch private Gasthäuser, die auf die Unterbringung der Pilger spezialisiert sind. Dort bekommt man kostenlos etwas zu Essen und einen Platz zum Schlafen, auch wenn es nur ein Strohlager ist.“

HM: „Aber kann sich dann nicht jeder als Pilger ausgeben und bei Besuch der Stadt länger dort übernachten?“

Pilger 3: „Wie schon gesagt, wir tragen ja extra die Muschel als Zeichen. Sie haben aber Recht, diese Muschel kann man einem Pilger ja auch klauen und sich dann kostenlos in die Herbergen schleichen. Um das zu verhindern gibt es seit einiger Zeit Pässe, in die man persönliche Angaben, Abreisedatum, Reiseroute und Ziel eintragen muss.“
Pilger 1: „Diese werden dann vom Bischof des Übernachtungsortes unterschrieben und mit dieser Unterschrift hat man das Recht auf eine Nacht Kost und Logis. So will man sicher gehen, dass die Gastfreundschaft der Herberge nicht ausgenutzt wird.“

HM: „Sehr schlau durchdacht! Eine Frage hätte ich da noch: Wo verrichten Sie unterwegs Ihre Notdurft?“

Pilger 2: „Sehr geehrter Herr Meier, nun reicht es aber langsam mit Ihren Fragen! Wir müssen jetzt auch langsam los, damit wir unser Ziel vor Sonnenuntergang erreichen.“

HM: „Schade! Aber ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche und gesegnete Reise.“

Pilger 3: „Buen camino.“

HM: „Wie bitte?“

Pilger 1: „Das ist spanisch und heißt ‚Guten Weg‘!“

HM: „Ah, dann auch Ihnen buen camino!“

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