Nun habe ich mich heute - schulbedingt - wieder in Erinnerungen verloren, Fotos rausgekramt, im Herbergspass geblättert und mich der Faszination Jakobsweg hingegeben. Und alles nur, weil im Geschichtsunterricht der 7. Klasse das Thema behandelt wird. Gleich zu Beginn. Gar keine Frage, dass die Schüler ihre neue Lehrerin dann gleich als verträumtes, monologisierendes Wesen kennenlernen werden. Verträumt ist ja okay, Monologe führen nicht unbedingt. Und damit das nicht passiert, habe ich einen Dialog geschrieben. Zwischen Hans Meier und einer Gruppe mittelalterlicher Pilger. Morgen soll ein weiterer Dialog zwischen Hans Meier und einer Gruppe moderner Pilger entstehen. Und die dürfen die Schüler dann als Rollenspiel aufführen. Gibt dann nur drei Möglichkeiten: 1. Sie finden Geschichte nach einem Jahr Abstinenz toll (in der 6. Klasse hat man hier kein Geschichte, dafür Geografie), 2. Sie fragen sich, was das jetzt soll und ob sie wieder in der Grundschule sind und 3. Sie sind vom Rest des Schulhalbjahres enttäuscht, weil Frau W. keine Zeit hat, um in jeder Stunde Spielchen zu spielen. Egal, hauptsache, sie erfahren in der ersten Stunde, warum die Menschen damals gepilgert sind (und unter welchen Umständen) und warum sie das heute noch tun. Und für all diejenigen, die das auch interessiert, hier das Gespräch:
Im
Jahre 1452 begegnet Hans Meier einer Gruppe von Männern vor den Toren von Aachen.
Keiner in der Stadt kennt Herrn Meier, niemand weiß wo er herkommt und viel Ahnung
von den mittelalterlichen Begebenheiten scheint er auch nicht zu haben, wie
folgendes Gespräch zeigt:
Hans
Meier: „Seid gegrüßt, edle Herren. Wohin des Weges?“
Pilger
1:
„Grüß Gott, Herr Meier.“
Pilger
2:
„Wir sind auf dem Weg nach Santiago de Compostela.“
HM:
„Santiago de…was? Noch nie gehört! Was wollt ihr dort?“
Pilger
3:
„Sie haben noch nie etwas von Santiago de Compostela gehört? Unglaublich…“
HM:
„Jaja, meine Frau nennt mich auch einen ungebildeten Klotz. Aber sagt, wo liegt
dieses Santiago de Compostela. Das hört sich ganz schön exotisch an.“
Pilger1
:
„Santiago de Compostela ist einer der drei berühmtesten Wallfahrtsorte. Der
Sage nach strandete im 9. Jahrhundert an der Küste Nordspaniens der Leichnam
des Apostels Jakobus.“
Pilger
2:
„Sehr richtig. Außerdem baute im Jahr 829 Alfons II., König von Asturien, dann
eine Kirche über das neue Grab des Apostels. Eben in Santiago de Compostela.“
HM:
„Ah hm…sehr interessant! Und Sie möchten sich diese Kirche jetzt anschauen? Können
Sie dafür nicht einen Pferdewagen nehmen?“
Pilger
3:
„Sie sind wirklich ein ungebildeter Klotz, da hat Ihre Frau wirklich recht! Wir
sind Peregrinos, Pilger, und Pilger fahren nicht mit der Pferdekutsche!“
HM:
„Warum das denn nicht? Wäre doch viel bequemer. Vielleicht gibt es auch Gemälde
von dieser Kirche, dann müssen Sie nicht so weit fahren…entschuldigen Sie,
laufen.“
Pilger
1:
„Mensch Meier, nun stellen Sie sich doch nicht dümmer an, als Sie sind! Die Kathedrale
von Santiago de Compostela zu sehen, ist doch nicht der einzige Grund, warum
sich Tausende Menschen auf den weiten Weg zu Fuß nach Nordspanien machen!“
HM: „Sagen
Sie das doch gleich! Warum pilgern Sie also dort hin?“
Pilger
2:
„Ich suche nach meinem Seelenheil. Wissen Sie, ich war in der Vergangenheit
kein besonders frommer Mann. Ich habe beim Kartenspielen im Wirtshaus gemogelt,
als Händler meine Kunden übers Ohr gehauen und außerdem noch meine Frau
betrogen. Wenn ich nun nach Santiago de Compostela pilgere und dort bete und
Buße tue, werden mir meine Sünden vergeben.“
HM:
„Mein lieber Freund, das ist tatsächlich starker Tobak, was Sie da so getrieben
haben!“
Pilger
2:
„Mein Freund weiß, was er schlimmes getan hat und bereut das auch. Aber wissen
Sie, da gibt es noch schlimmere, als ihn. Habt ihr von Herzog Heinrich gehört?
HM:
„Noch
nie gehört.“
Pilger
3:
„War das nicht der, der vom hohen Fürstengericht in Nürnberg verurteilt wurde
innerhalb eines Jahres nicht nur Santiago de Compostela aufzusuchen, sondern
auch noch Jerusalem, Aachen, Rom, Wellsnach und Einsiedeln?
Pilger
1:
„Unglaublich!“
HM:
„Was ist denn in den anderen Städten? Auch das Grab des Jakobus?“
Pilger
2:
„Nein, Mann! Das sind auch Wallfahrtsorte, zu denen Menschen pilgern können.
Dort gibt es dann andere Reliquien. In Rom soll es z.B. das Kreuz Christi
geben.“
Pilger
1:
„Und in Aachen natürlich das Grab Karls des Großen, von dem Sie sicherlich bereits
gehört haben.“
HM:
„Ach so, verstehe! Und Herzog Heinrich will die nun alle sehen und auch Buße
tun. Muss ja ein wildes Leben geführt haben, der gute Heinrich.“
Pilger
3:
„Nein, so ist das bei ihm nicht. Haben Sie noch nie davon gehört, dass man auch
für Verbrechen auf Wallfahrt geschickt werden kann? Wenn man Kritik an der
Kirche übt, zum Beispiel. Aber auch für Totschlag.“
Pilger
1:
„Bei Heinrich war der Grund allerdings weitaus trivialer: Er hat seinen
Kollegen Herzog Ludwig von hinten mit dem Schwert verletzt.“
HM:
„Kicher, da hatte das Fürstengericht von Nürnberg ja wohl einen strengen Tag,
als sie die Strafe über Heinrich verhängt haben.“
Pilger
2:
„Kann man wohl sagen! Aber vielleicht macht es Heinrich auch wie andere vermögende
Männer und engagiert einen Berufspilger.“
HM:
„Einen was?“
Pilger
2:
„Einen Berufspilger. Das sind Männer, die das Abenteuer suchen und von Fernweh
geplagt sind und sich dafür bezahlen lassen, dass sie für ihre Auftraggeber
pilgern und Buße tun.“
HM:
„So was geht?“
Pilger
3:
„Naja, besonders ehrlich ist das nicht. Aber stellen Sie sich doch mal vor, Sie
wären Gutsherr über ein riesiges Land. Das muss nicht nur bewirtschaftet,
sondern auch verteidigt werden. Wenn Sie von hier nach Santiago de Compostela
laufen, sind Sie gut und gerne ein halbes Jahr unterwegs.“
Pilger
1:
„Da dürfen Sie allerdings keinen Tag Pause machen, krank werden oder sonst wie
in Verzug geraten, sonst dauert es noch viel länger.“
HM:
„Verstehe, und weil der reiche Gutsherr sich die Abwesenheit nicht leisten
kann, lässt er jemanden für sich pilgern und bezahlt ihn dafür.“
Pilger
2:
„Richtig. Und sein Seelenheil bekommt er trotzdem zurück.“
HM:
„Na, ich weiß ja nicht…“
Pilger
3:
„Nun gut, wir müssen dann mal weiter.“
HM:
„Nein, warten Sie! Kommen Sie her, ich lade Sie noch auf ein Bier ein. Immerhin
haben Sie einen weiten Weg vor sich und sollten ihn nicht mit leerem Magen
starten. Außerdem bin ich jetzt doch ganz fasziniert von dieser
Pilgergeschichte. Erzählen Sie mir bitte mehr darüber!“
Pilger
1:
„Hm, naja. Zeit hätten wir eigentlich keine, aber ein Bier wird schon nicht schaden.
Was meint ihr?“
Pilger
2:
„Aber nur eins, sonst schnarchst du heute Nacht wieder so laut, dass man kein
Auge zutut!“
Pilger
1:
„Schon gut, schon gut.“
Pilger
3:
„Hört auf zu streiten! (zu HM gewandt)
Was wollt Ihr noch wissen?“
HM: „Na
zum Beispiel, wann und wo ihr euer restliches Gepäck abholt. Dieser eine Rucksack,
den Ihr auf dem Rücken tragt, wird ja wohl nicht alles für eure lange Reise
sein.“
Pilger
3:
„Doch natürlich! Immerhin sind wir zu Fuß unterwegs, und müssen unsere Sachen
die ganze Zeit selber tragen.“
HM:
„Erstaunlich! Was habt ihr denn alles dabei?“
Pilger
1:
„Nur das Nötigste: zwei Paar eingelaufene Schule, meinen breiten Hut, der mich
vor der Sonne und gleichzeitig vor Regen schützt, einen Mantel, eine
Wasserflasche, Messer, einen Rosenkranz und einen Kochtopf. Und
selbstverständlich einen Pilgerstab, Proviant und Geld.“
HM:
„Geld? Habt Ihr keine Angst überfallen zu werden?“
Pilger
2:
„Nein, denn als Pilger sind wir ziemlich gut geschützt. Wer Wanderer wie uns
tötet, verletzt oder beraubt, dem drohen hohe Strafen.“
HM:
„Und wie könnt Ihr sicher sein, dass ein Räuber Sie als Pilger erkennt?“
Pilger
3:
„Dafür tragen wir diese Muschel am Mantel. Sie dient jedem als Erkennungszeichen.“
Pilger
1:
„Wer übrigens nach Rom pilgert, trägt zwei Schlüssel als Zeichen. Für Jerusalem
ist es ein schlichtes Kreuz, was den Pilger kennzeichnet.“
Pilger
2:
„Und wenn Sie einmal jemanden begegnen, der gerade aus Aachen kommt und ein
Pilgerhorn über der Schulter trägt, dann ist das jemand, der von seiner
Pilgerfahrt nach Aachen nach Hause zurückkehrt.“
HM:
„Sehr clever!“
Pilger
3:
„Und wenn wir doch einmal angegriffen werden sollten, haben wir immerhin noch
unseren Pilgerstab. Der hilft uns nicht nur beim Überwinden von Flüssen,
sondern auch als Verteidigung gegen Angreifer.“
HM:
„Na dann kann Ihnen ja fast nichts mehr passieren. Aber sagen Sie mal, wo
schlafen Sie überhaupt, wenn Sie unterwegs sind?“
Pilger
1:
„Auch das ist kein Problem. Als ausgewiesener Pilger muss uns jeder ein Dach
über dem Kopf, Wasser, Brot und Feuer zum Aufwärmen und Trocknen der Kleider geben.
Allerdings ist das heutzutage kein Problem mehr.“
Pilger
2:
„Früher wurden die Pilger in Klöstern aufgenommen. Seit es aber immer mehr
Menschen gibt, die eine Wallfahrt unternehmen, gibt es auch private Gasthäuser,
die auf die Unterbringung der Pilger spezialisiert sind. Dort bekommt man
kostenlos etwas zu Essen und einen Platz zum Schlafen, auch wenn es nur ein
Strohlager ist.“
HM:
„Aber kann sich dann nicht jeder als Pilger ausgeben und bei Besuch der Stadt
länger dort übernachten?“
Pilger
3:
„Wie schon gesagt, wir tragen ja extra die Muschel als Zeichen. Sie haben aber
Recht, diese Muschel kann man einem Pilger ja auch klauen und sich dann
kostenlos in die Herbergen schleichen. Um das zu verhindern gibt es seit
einiger Zeit Pässe, in die man persönliche Angaben, Abreisedatum, Reiseroute
und Ziel eintragen muss.“
Pilger
1:
„Diese werden dann vom Bischof des Übernachtungsortes unterschrieben und mit
dieser Unterschrift hat man das Recht auf eine Nacht Kost und Logis. So will
man sicher gehen, dass die Gastfreundschaft der Herberge nicht ausgenutzt
wird.“
HM:
„Sehr schlau durchdacht! Eine Frage hätte ich da noch: Wo verrichten Sie
unterwegs Ihre Notdurft?“
Pilger
2:
„Sehr geehrter Herr Meier, nun reicht es aber langsam mit Ihren Fragen! Wir
müssen jetzt auch langsam los, damit wir unser Ziel vor Sonnenuntergang
erreichen.“
HM:
„Schade! Aber ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche und gesegnete Reise.“
Pilger
3:
„Buen camino.“
HM:
„Wie bitte?“
Pilger
1:
„Das ist spanisch und heißt ‚Guten Weg‘!“
HM:
„Ah, dann auch Ihnen buen camino!“
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