Nun hat sie wieder begonnen: die Phase, in der man den Schülern die Quartalsnote mitteilen muss. Referendare haben allgemein die Angewohnheit, in dieser Zeit Formulare auszuteilen, auf denen die Schüler ihre Mitarbeit selbst einschätzen müssen. Hilft vor allem den überforderten Referendaren, die a) super unsicher bei der Leistungseinschätzung und b) froh sind, wenn sie den jeweiligen Namen im Kursheft auch das richtige Gesicht zuordnen können ;-) In Philo reicht natürlich ein doofes Formular nicht aus - immerhin gehört eine lückenlose und logische Argumentation zum Unterricht - so dass sie einen kleinen Aufsatz schreiben müssen. In diesem sollen sie eine These aufstellen (ich verdiene die Note X), diese mit Argumenten untermauern (weil ich immer die Hausaufgaben mache, ist z.B. kein gültiges Argument) und bei Bedarf mit Beispielen die Argumente stützen sollen. Eine sehr amüsante Angelegenheit für mich. So habe ich heute meine 10er einschätzen lassen und einige sehr interessante "Aufsätze" bekommen:
a) Ich würde mir für meine mündliche Mitarbeit die Note 2- geben, da ich den Unterricht mit ausschließlich konstruktiven Kommentaren bespicke. Doch woher ist etwas als konstruktiv einzuschätzen? Dies zu tun bedarf des notwendigen Wissens. Doch woher können wir wissen, dass das Wissen eines Dritten ausreicht, um Gesagtes als konstruktiv zu bewerten? Man könne also sagen, dass diese Problemfrage, die sich hier gerade entwickelt, und mich irgendwie vom eigentlichen Thema abkommen lässt, durch Unwissenheit zu lösen wäre. Denn Unwissenheit ist ein Segen, denn die Unwissenden müssen sich nicht mit den Problemen der Wissenden befassen, da diese sich durch ihr Wissen auf die Problematik ihrer Umwelt befassen. Ich weiß, ich bin etwas vom Thema abgekommen, doch ich wollte diesen Gedanken loswerden. So, zurück zur Einschätzung meiner Leistung. Zur Einschätzung meiner mündlichen Leistung kann ich nur sagen, dass ich mehr zum Unterricht beitragen kann bei Themen, die sich in meinem Gehirn wie ein Keim einpflanzen und heranwachsen. Es mag vielleicht auch nur an meinem Wesen liegen, dass ich eher still bin und mich eher zurückhalte, da oftmals die Gedanken eher zynisch oder sarkastisch sind. Naja, jetzt wissen Seie über meine eigene Einschätzung Bescheid.
Nicht, dass die Argumentation lückenlos und logisch wäre, aber ich habe es erst mal ganz fasziniert gelesen. Vor allem, weil er Themen aufgreift, die wir in den letzten Stunden besprochen haben. Eine 2- wird's wohl trotzdem nicht werden. Aber schlechter als eine 3 bekommt er alleine für diese Ausführungen nicht :-)
b) Ich schätze mich so auf 2-3. Am liebsten hätte ich ja die 2, da mein Bewusstsein mir sagt, dass ich eine 2 verdient habe und was anderes zählt gar nicht, weil es nicht existiert :-)
Hier kommt das Stundenthema ganz deutlich zum Vorschein. Btw. haben wir heute sehr viel gelacht. Problemfrage der Stunde war "Können wir uns nur über das Innere unseres Bewusstseins sicher sein?" Nun gibt es eine Schülerin, die solche skeptischen Gedanken kaum an sich ranlässt und immer dagegen argumentiert. Das ist auch überhaupt nicht schlimm, weil es wie gesagt, auf die Argumentation ankommt. Jedenfalls fing sie an sich an ihre Banknachbarin und gute Freundin zu schmiegen und meinte, sie fühle doch, dass ihre Freundin da wäre und sie empfinde auch Schmerzen, wenn sie ihr weh täte. Nun konnte die Diskussion dahin gelenkt werden, dass der Tastsinn und das Schmerzempfinden ja auch nur über unser Bewusstsein zu uns kommt. Ja, aber wie es denn sein könne, dass ihre Freundin und sie diesselben Sachen sehen würden. Da musste ich ihr mitteilen, dass es ihre Freundin nach dieser These gar nicht gäbe, weil sie nur in ihrem Geist existiert. Aber Frau W., Sie zerstören hier eine zehn Jahre andauernde Freundschaft! Ja, sag ich, in deinem Geist könnt ihr ja auch noch die nächsten 10 Jahre befreundet sein :-)
c) Sehr geehrte Frau W., ich denke, dass eine 1 oder 2 durchaus gerechtfertigt wäre, da ich mir jede Stunde die Mühe mache mindestens ein Gedich zu schreiben. Dies reizt meinen Intelligenzquotienten von 153 völlständig aus. Abgesehen davon, beteilige ich mich regelmäßig im Unterricht mit äußerst hilfreichen Beträgen. Das ist nicht zu bestreiten. Um zu den Gedichten zurückzukommen; wir wissen beide, wie begeistert Sie davon sind. Ich habe es zwar bedauerlicherweise versäumt, mein Stundenprotokoll abzugeben, doch durch meine hervorrragende mündliche Mitarbeit ist dies zu entschuldigen. Anzumerken ist außerdem, dass der Philosophieunterricht mir sehr viel Freude bereitet. Aus diesen Gründen, denke ich, dass meine Note zwischen 1 und 2 einzuordnen ist. Mit freundlichen Grüßen xy
Nur so zur Info, er bekommt ne 4+. Und das Plus ist tatsächlich seinen Gedichten geschuldet ;-)
d) Ich hätte gerne eine 1+, weil ich
1. ein Mensch bin
2. Menschen gute Noten wollen
3. also ich eine gute Note will.
Desweiteren habe ich eben erfahren, dass ich nur weiß, dass mein Bewusstsein existiert. Und da mein Bewusstsein vielleicht nur als einziges in der Welt existiert, michh ich mich wohl fragen: Wer, wenn nicht ich, als einziges von mir anerkanntes lebendiges Wesen, hätte einen Eins in Philosophie verdient?
Schlussfolgerung: Ich will eine gute Note. Eine gute Note wäre z.B. eine 1, und da ich als einziges auf dieser Welt existiere, gebe ich mir diese Note.
(Außerdem, wenn schon mein Bewusstsein mich die Schule und sogar meine Philosophielehrerin erschafft, kann mir mein Bewusstsein auch eine 1 geben)
Sie hat das Problem zumindest verstanden.
Ansonsten natürlich die immer wiederkehrende Begründung: ich verdiene eine 2, weil ich immer die HA mache, die schriftlichen Aufgaben bearbeite und nicht störe. Als ob das eine gute Note rechtfertigen würde. Das verstehen sie leider noch nicht. Aber ich mache mir ausnahmsweise die Mühe und schreibe jedem, warum er/sie die jeweilige Note bekommt und was er/sie tun muss, um sich zu verbessern. Mal sehen, ob das dann ankommt. Wobei - mein Kurs ist wirklich bemüht und lieb. Heute habe ich auch erfahren, warum das so ist. Von 20 Schülern kommen mindestens 7 frisch von der Realschule. Das macht sich ungemein positiv bemerkbar. Die sind einfach viel bemühter, als die, die seit der 5. Klasse durchs Gymnasium gezogen wurden (und mitunter einfach nicht verdient haben).
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